Imogen Dalmann & Martin Soder

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TKV Desikachar (1938 - 2016)

 

Zum Weiterlesen als Download (pdf):

Ein Artikel zu seinem 75 Geburtstag 2013:
Yoga heißt teilen
TKV Desikachar im Gespräch – drei Interviews:
Klarheit und Gefühl
Über Lebensqualität
Yoga ist nicht Hinduismus

Anfang August 2016 ist unser Lehrer TKV Desikachar gestorben. Obwohl der Abschied von ihm auf Grund seiner schweren Demenz-Erkrankung schon lange zurück liegt, hinterlässt sein Tod uns noch einmal betroffen und traurig.

 

Er war ein inspirierender Mensch  mit einem liebevollen Herzen. Mit großer Anstrengung und unermüdlichem persönlichen Einsatz hat er entscheidend dazu beigetragen, den Yoga uns westlich geprägten Menschen zugänglich zu machen. Er hat dabei nicht nur alle seine Möglichkeiten ausgeschöpft, sondern auch seine Grenzen klar und deutlich gesehen. Nicht zuletzt das macht ihn so groß und zu einer Ermutigung für uns alle.

Sein Vertrauen darein, dass diese inspirierende Disziplin mit Hilfe seiner Schülerinnen und Schüler im Westen ihren eigenen Platz und ihre eigenen Formen neu finden würde, war tief und von keinem Zweifel berührt. Es war sein Verständnis von Yoga als ein dynamisches und in die Welt hinein offenes System mit dem einzigen Ziel, Menschen in ihrem Leben weniger Leid und mehr Sinn im würdigen Miteinander finden zu lassen, das ihn so einzigartig macht. Das Yoga Sutra hat er als ein Handbuch fürs Leben interpretiert und es so vielen Menschen im Westen ermöglicht, genau dafür Inspiration und Richtung zu finden.

Desikachar war kein Guru und schon gar kein perfektes Wesen, das über alles Weltliche erhaben sein wollte - im Gegenteil: Die Welt mit ihren vielen Rätseln und Schwierigkeiten war das, was es ihm mit Hilfe von Yoga zu verstehen und zu verändern galt. Entsprechend unmittelbar war seine Art des Unterrichtens, immer bezogen auf konkrete Fragen und Situationen. Wir haben in ihm immer einen wachen und teilnehmenden Menschen kennen gelernt, der sein ganzes Wissen mit großer Selbstverständlichkeit frei teilte. Seine freundschaftliche Zuneigung fehlt uns schon seit langem und wir müssen uns mit unserer Erinnerung daran begnügen.

All die vielen Menschen, die er über seine Art des Lehrens und Seins erreicht hat werden ihn unvergessen machen.

Wir erinnern uns an ihn einem traurigen Herzen, großem Respekt und Liebe.

Imogen Dalmann, Martin Soder           


In der größten indischen Tageszeitung  THE HINDU erschien am Tag nach TKV Desikachars Tod ein Nachruf von Navtej Johar unter dem Titel: Der Meister des "Yoga für den Augenblick".

Meike Gersen hat ihn für uns übersetzt

 

Den Originalartikel finden Sie hier

 

HINDU, 9. August 2016

"A tribute to Desikachar’s approach that protected yoga from fundamentalism"

 

Ein Tribut an Desikachars Ansatz, der den Yoga vor Fundamentalismus rettet

Obwohl T.K.V Desikachar von Beruf Ingenieur war, beschloss er, sein Leben dem Yoga zu widmen, nachdem er erlebt hatte wie sein Vater, der legendäre T. Krishnamacharya, kranken Menschen damit half. Es war die Entdeckung, dass Yoga ein Werkzeug für Gesundheit und Heilung sein konnte, die ihn dazu brachte, und so wurde das Verringern von Leid zum Gegenstand seines lebenslangen Bemühens.

Desikachar starb in Chennai am Montag, den 8. August 2016 im Alter von 78 Jahren. Sein Ziel war es nicht, der Welt mit aufgepeppten alten Philosophien oder außergewöhnlichen Asana- Designs zu imponieren. ,Er sagte einmal “Ich habe durch Yoga entdeckt, dass es etwas gibt, das man “Herz” nennt”; mit dieser einfachen Herzlichkeit ging er auf Andere zu und ließ sich auf sie ein.

Anstatt den Menschen, die um eine Therapie zu ihm kamen, Yoga-Ideen aufzuzwingen, hörte er ihnen mit fast kindlicher Aufnahmenbereitschaft zu, während er sich gleichzeitig in ihre individuellen Situationen, ihren jeweiligen sozialen und kulturellen Kontext hineinversetzte. Sein Yoga war “der Yoga des Augenblicks”; - frei von bemoosten Traditionen die unbedingt erhalten werden müssten.

Als ich vor vielen Jahren meine Yogaschule in Delhi eröffnete, bat ich Desikachar um seinen Segen und fragte ihn, wie ich die Art von Yoga, die wir unterrichteten, bezeichnen sollte. Desikachar riet mir sehr deutlich, sie einfach “Yoga” zu nennen., vielleicht noch Patanjali Yoga , aber nicht mehr oder weniger. Er verstand die Vermarktung oder auch das Standardisieren eines Yoga-Stils als im klaren Widerspruch zum Yoga stehend; die Essenz des Yoga war in seinen Augen ständige Wandlung und Bewegung.

„Bis zu meinem letzten Atemzug werde ich gegen sowas kämpfen“ sagte er einem seiner amerikanische Studenten, Leslie Kaminoff. „Wir nennen es immer nur Yoga. Das Individuum ist wichtig, nicht der Stil.  Die Technik, die funktioniert, ist die richtige für uns.”

In diesem Sinne war seine erste Bedingung, als er anfing, von seinem berühmten Vater zu lernen, den “Yoga ohne Gott” zu zu studieren. Für Krishnamacharya war das kein Problem.

Desikachar's Yoga-Ansatz war einzigartig, weil undogmatisch, konfessions-ungebunden, säkular, in ständigem Wandel und  mit offenen Geist forschend und hinterfragend.

Sich in dieser Weise schon früh unkonventionell zu entscheiden, ist ihm vielleicht einfach zugefallen; es offenbart aber eine unglaubliche Klarheit und Voraussicht, wenn man von heute darauf schaut. Und es ist von großer Bedeutung in einer Zeit wo eine starke Tendenz herscht, Yoga zu patentieren, zu vermarkten und religiös zu vereinnahmen. Deswegen sollten wir nie aus den Augen verlieren, wie scharfsinnig und mutig Desikachar's Entscheidungen damals waren; sie haben wohl unsere Yogapraxis vor allen aktuellen und zukünftigen Fundamentalismen bewahrt.

Obwohl er von einer der berühmtesten Yoga-Linien abstammte, trug Desikachar diesen schweren Mantel leicht auf seinen Schultern. Aufgewachsen in einem Indien nach der Unabhängigkeit, einer Zeit, in der Tradition und Vergangenheit idealisiert und extrem geschätzt wurden, wandte sich Desikachar gegen diesen Trend, und setzte auf den “gegenwärtigen Augenblick” und das Menschliche. Er beanspruchte weder die großartige Vergangenheit noch ein ewiges Wissen für den Yoga. Für ihn gab es nur eine ewige Tradition: das menschliche Leiden und die menschliche Sehnsucht und Suche nach Glück. „Egal ob wir sie bewahren oder nicht- diese wird es immer weiter geben“ konstatierte er mit großer Einfachheit.

Voll und ganz innerhalb dieser menschlichen Gegebenheiten war seine seine hochdifferenzierte und anspruchsvolle Yogapraxis angelegt.

An diesem traurigen Tag, wo mein Lehrer nicht mehr ist, seine Lehre aber immer weiter gehen wird wird, kommt mir alles in den Sinn, was ich von Desikachar empfangen durfte. Ich habe ich ihm dafür nur Respekt und Vertrauen engegen gebracht; im Gegenzug von ihm erhalten habe ich Freiheit, wörtlich gesprochen, die dauerhafte Freiheit, auszuprobieren, zu experimentieren, anzupassen und sogar auch zu spielen mit seinem reichen Wissen, wenn ich eine Praxis für den aktuellen Augenblick entwerfe.

Was ich von Desikachar gelernt habe ist, Vernunft und Empfindsamkeit einzusetzen, menschlich zu sein, richtig zuzuhören und am wichtigsten von allem: den subtilen und empfindsamen Antworten des Körpers, der Atmung und des Geistes meine Aufmerksamkeit zu schenken. Nur so kann ich das „etwas Mehr“ einschätzen und schätzen, auf das Desikachar sich manchmal in seinem Lehren bezog. Ich schenke meine tiefste Dankbarkeit ihre bescheidenen Bekundigungen dem großen Lehrer, dem es gelang „Gewöhnliches und Einfaches” so besonders zu machen.